Mittwoch, 28. Oktober 2009

Nora in Guatemala

Erfahrungsbericht einer Freiwilligen




Ich möchte meinen Horizont erweitern. Ich möchte ein anderes Land kennen lernen und ich möchte helfen. Deswegen gehe ich nach Guatemala, nach Jocotenango in ein Projekt, dessen Leiter der Freund einer guten Kommilitonin aus Erfurt ist. Viel hat sie mir bereits darüber berichtet und nun mache ich mich mit meinen eigenen Augen und Ohren auf die weite Reise in eine andere Kultur.


Vier Wochen lang bin ich täglich außer am Samstag und Sonntag mit den Kindern, den Jugendlichen und den Lehrern des Projektes zusammen. Räumlichen Platz gibt es wenig, nur kleine schmale Zimmer, ausgestattet mit einigen Stühlen, einer Tafel und einer handvoll Büchern. Umso mehr Platz gibt es für Ideen, für Wünsche, Gedanken und gemeinsam geteilte Zeit. Doch auch die bunten Wände, auf denen Landschaftsszenerien, die Flaggen der Erde und eine Weltkarte zu sehen sind, machen die schmalen Räume und den winzig kleinen Innenhof wett.

Die farbenfrohe Gestaltung spiegelt den Enthusiasmus der Lehrer und die Lebenslust, Wissbegier und unglaubliche Lebendigkeit der Heranwachsenden wieder. So bunt die Wände sind, so viel Leben und Energie steckt in Los Patojos. Das begeistert mich.


Da mein Spanisch noch dürftig ist, unterstütze ich Seno Ana in der Gruppe der estrellitas, der Kleinsten, die zwischen drei und acht Jahre alt sind. Jeden Tag hat Seno Ana etwas für die 26 Jungen und Mädchen vorbereitet. Das ist nicht einfach, denn an Material mangelt es hier fast permanent: ein wenig Leim, etwas Wolle, Wachsmalstifte und farbiges Papier. Und dennoch, in dem kleinen schmalen Raum, der statt einer Tür nur ein Gitter hat und alle Geräusche und Gespräche aus den anderen Gruppen begierig in sich aufsaugt, schafft Seno Ana mit einer Handvoll Stifte und den wenigen Bastelmaterialien, was für mich eigentlich fast nicht vorstellbar ist: alle Kinder sind sinnvoll beschäftigt und gleichzeitig dankbar für jedes Aktivität, die ihnen angeboten wird.

Am eigenen Leib erfahre ich die Euphorie der Kinder an dem Tag, an dem ich das erste Mal allein mit den Ältesten der Gruppe arbeite. Ich habe ein einfaches, aber ansprechendes Angebot für sie: mit groben Nadeln und Wolle kleine vorgefertigte Stickbilder gestalten. Seno Ana ruft alle Kinder zusammen. Daniela und Beberlyn, Julio, Carol, Maynol und Emily, Jonathan, Pepe, Mishel, Fatima und Iris. Sofort stehen alle um mich herum, fragen mich: Seno, Seno, was ist das, wie geht das? Lana y papel, Wolle und Papier. Yo, yo, ich, ich auch!!


Unglaublich, als Pädagogikstudentin weiß ich nicht nur durch die Seminare, sondern auch durch vielfältige praktische Tätigkeiten in Schulen und Kindergärten, dass es bei uns oft darum geht, wie Kinder zu einer angeleiteten Tätigkeit motiviert werden können. Das ist hier in Guatemala anscheinend kein Problem. Die Motivation ist da, nur die Möglichkeiten sind es nicht immer. Welch Lerneifer, Freude am Tun! Unsere deutschen Kinder scheinen mir dahingegen vollkommen übersättigt. Aber hier, vier Stunden sticken sowohl Mädchen als auch Jungen an bunten Bildern. Die Freude ist riesig, am Abend tanzt Iris mit ihrem gato rozado, rosa Katze Stickbild über den Innenhof.


Auch andere Erlebnisse und Gedanken werde ich mit nach Deutschland nehmen. Meine heiß geliebte Spiegelreflexkamera geht kaputt. Ich bin untröstlich. Noch am selben Tag helfe ich beim Mittag austeilen für 50 Kinder, die gerade jetzt, während der Ernährungskrise in Guatemala, von zu Hause mit knurrenden Mägen ankommen. Beim Verteilen reichen die Tortillas nicht. In meinem Korb sind noch drei Maisfladen, um mich herum 15 Hände. Über meine Kamera bin ich nun nicht mehr traurig.

Vier Wochen gehen zu Ende. Ich konnte erfahren, wie junge Menschen, kaum älter als ich, mit Ideen und Leidenschaft in ihrem eigenen Land etwas verändern wollen.


Vielen Dank Los Patojos, in meinem Mund, meinem Kopf, meinen Ohren und Augen nehme ich alles, was ihr mit gegeben habt, mit auf den Weg nach Deutschland!



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