Mittwoch, 9. Juni 2010

Karsten in Guatemala Part IV

Liebe Volamos Juntos -/Los Patojos – Interessierte!


Eine arbeitsreiche und denkwürdige Woche ist wieder wie im Fluge vergangen. Nachdem ich den vergangenen Sonntag auf dem größten Markt Guatemalas, in Chichicastenango verbracht habe, wobei die Kirche, in welcher z.T. noch „Mayarituale“1 praktiziert werden, das Sehenswerteste darstellte, begannen wieder einmal Tage des interkulturellen Staunens und Lernens. Für den Dienstag hatte ich eine Powerpointpräsentation zu den Fragen der Jugendlichen vorbereitet: „Wie ist das Essen in Deutschland?“; „Wann ist der Tag der Unabhängigkeit?“ (Denn dieser wird in Lateinamerika immer groß gefeiert, also die mehr oder weniger blutige Loslösung vom spanischen Kolonialsystem) oder „Wie viele Einwohner hat Deutschland?“. Doch es kam anders und nicht zur Realisierung meines Vorhabens an diesem Tage. Einmal pro Woche leiten die Betreuer die Jungs und Mädels zu Entspannungsübungen an, in welchen sie körperliche und seelische Rast und Ruhe finden. Aufgrund ungenügender Verständnisfähigkeiten kann ich das Folgende aber nur vereinfacht und eventuell nicht einwandfrei korrekt wiedergeben. Jedenfalls sollten die Jugendlichen unter gelöster Atmung geistig und emotional einen Ort aufsuchen, an welchem sie sich geborgen fühlen und mit welchem sie gute Erinnerungen verbinden. Im Weiteren hatten sie sich dort eine Person vorzustellen, welche ihnen sehr nahe stand und nun nicht mehr da ist. Gleichfalls wurden die „rebeldes“ aber auch dazu angehalten, sich an diesem Ort ihres Vertrauens eine geschehene, schmerzvolle Situation ihres Lebens zu versinnbildlichen. Anschließend wurden sie von Linda, einer Betreuerin, in dessen Wohnbereich die Jugendlichen allnachmittäglich ihre Zeit gemeinsam verbringen, wieder sanft auf das Loslösen von diesem Ort und auf das Erwachen vorbereitet. Was nun folgte erschütterte mein Wesen doch nicht unerheblich. Einige Jugendliche, vor allem aber die Jungen, welche stets einen sehr taffen Eindruck machten, begannen bitterlich zu weinen und zu schluchzen. Ohne dass sie Worte verloren, konnte ich nur erahnen was sich in jenem kontemplativen Moment aus dem Unterbewussten und Verdrängten Bann brach, was sie erleben und erleiden mussten. Ich werde niemals vergessen, wie die Jungen ohne Worte aufeinander zugingen, um sich gegenseitig minutenlang zu trösten. Um die trauertragenden Wogen zu glätten, leitete Linda die Jungen und Mädchen zu einem Stehkreis an, in welchem alle, der Berichterstatter eingeschlossen, nach einer Zahlenskala einen Vokal wie „a“ herausschreien sollten, um so eine Los-Lösung vom erinnerten Geschehen zu erwirken. Jedoch gelang es nur einem Jungen, seine Trauer, Wut und/oder Enttäuschung in Form der verbalen Entkrampfung auszudrücken. Danach schien es mehr als angebracht, die Präsentation auf den Mittwoch zu verschieben, um den „Rebeldes“ spielerisch durch Volley- und Fußball ein körperliches und emotionales Wohlgefühl zu bereiten. Des Abends versuchte ich mich wieder in der Rolle des Deutschlehrers, wiederum unter vier Augen, welche jedoch diesmal ein kleines Paar der selbigen als Anhang mitbrachten. Einer sehr aufgeweckten, mit ihrer Tochter erscheinenden Deutsch interessierten Guatemaltekin, vermittelte ich ihre ersten Worte und Sätze in meiner Muttersprache. Besser gesagt, wir erarbeiteten jene gemeinsam, denn sie brachte eine lebhafte Motivation an der korrekten Aussprache mit, die mir ein doch gehöriges Hochdeutsch abverlangte. Ich hoffe, sie kommt nächste Woche mit gleicher Lernfreude wieder. Ich werde davon genauso wie über meine landeskundliche Präsentation berichten!


1 Dabei werden aber keine Hühner oder andere Kleintiere an diesem christlich-heiligen Orte geopfert, das geschieht in Feld und Flur. Vielmehr befinden sich im Kirchgang Steine, auf welchen Kerzen angezündet werden, um sich bei bestimmten Göttern zu bedanken oder für ein Vorhaben Schutz und Gelingen zu erbitten.

Hasta pronto,

Euer Karsten

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